Flegel, Magier und Vampirjäger

Jean Paul: Flegeljahre, Band 1 (Neufassung)Das Jean-Paul-Jahr 2013 ist vorbei, und mit meiner Flegeljahre-Übertragung in modernes Deutsch bin ich Mitspieler bei einer vielgestaltigen Jubelveranstaltung gewesen, von der niemand wissen kann, ob Jean Paul selber nicht einen Kübel kunstvollen Spott darüber gegossen hätte. Jedenfalls ist die Neuausgabe, wie ich höre, für viele LeserInnen ein Aha-Erlebnis und für mich, der ich Jean Paul durch die Arbeit an seinem Text sozusagen um einen Quantensprung genauer kennengelernt habe, ein Geschenk von unermesslichem Wert.

John Fowles: The MagusDie Folgebände der Flegeljahre müssen nun noch warten, bis laufende Projekte abgeschlossen sind. Denn ich stecke tief in etwas diametral Anderem: meiner Neuübersetzung des 700-Seiten-Romans Der Magus, dieses grandiosen Erstlings des Engländers John Fowles aus den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts.

Anthony Curtis Adler: The Afterlife of Genre.Im Moment will ich nur meiner Freude über eine taufrische Veröffentlichung aus den USA Ausdruck verleihen. Es ist ein schönes Büchlein bei Punctum Books, New York, mit dem Titel The Afterlife of Genre – Remnants of the Trauerspiel in ‚Buffy the Vampire Slayer‘ von Anthony Curtis Adler. Mit Adler, dem jungen US-amerikanischen Germanisten, der in Seoul/Südkorea lehrt und zur Zeit ein Sabbatical an der Yale University zur Fertigstellung seines neusten Buchs verbringt, verbindet mich seit Jahren ein intensiver Gedankenaustausch. Ich habe z. B. seinen großen Hans-Christian-Andersen-Essay Das Leben der Dinge ins Deutsche übersetzt (wohinzu man sich unbedingt Andersens Schräge Märchen einverleibe, neuübersetzt von Heinrich Detering).

Auch das jetzt erschienene Buffy-Buch von Adler gibt es als Manuskript seit Längerem von mir auf Deutsch. Es geht darin vordergründig um die beliebte, ebenfalls leicht schräge und auch in Deutschland häufig wiederholte US-amerikanische TV-Serie im Collegemilieu Buffy the Vampire Slayer (deutscher Sendetitel: Buffy – Im Bann der Dämonen), die Ende der 1990er Jahre ihren Siegeszug startete. Adler verblüfft mit dem Nachweis ihrer Wurzeln im deutschen bürgerlichen Bühnentrauerspiel der Barockzeit. Kenner werden bei Letzterem sogleich an Walter Benjamins Habilitationsschrift zum selben Thema denken (berühmt, weil abgelehnt, und natürlich noch ohne Buffy), die Adler gebührend würdigt. Es gipfelt, nach einer akribischen Durchleuchtung der Buffy-Serie, in erfrischend provozierenden Thesen speziell zur TV-Unterhaltungsindustrie sowie zur heutigen Populärkultur allgemein. Nur zwei Beispiele (gekürzt):

»Trauer zu entwickeln wird nie zugelassen, sondern stattdessen immer in etwas anderes verwandelt, in einen anderen, seinem Wesen nach abweichenden Affekt gelenkt. (Immer) geht der Trauer Gewalt voraus, entweder als dämonische, gegen das Leben gerichtete Gewalt, oder als erotische Gewalt, die das Geliebte zu besitzen sucht.«

»Im Medium des Fernsehns haben wir uns selbst überlebt. Der Tod ist vertraut, ein Klischee, das Leben nur eine Wiederholung. Wie Vampire brauchen wir unsere tägliche Dosis Blut, um uns wenn auch nur kurz aus der Betäubung des Daseins wiederzubeleben.«

Erstaunlich, dass sich in der Medienlandschaft USA ein Verlag gefunden hat, der keine Scheu hat, sich und seinen Landsleuten diesen Spiegel von Anthony Adler vorhalten zu lassen. Und Deutschland? Adler und ich haben die beiden Essays dafür im Paket unter dem Obertitel Zum Leben und Nachleben der Populärkultur längst vorbereitet.

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Michael Lehmann ist Übersetzer, spezialisiert auf Neufassungen herausragender deutscher und englischer Literatur des 17. bis 20. Jahrhunderts. In modernem Deutsch, ungekürzt, für neue Lesegenerationen.