Interview: Michael Lehmann übersetzt Bernard Gotfryds Anton der Taubenzüchter und andere Geschichten vom Holocaust

Michael Lehmann in seiner Bibliothek
Fotos: Arnd Hartmann

»In allen Weltsprachen ist das Buch schon erschienen. Nur auf Deutsch noch nicht.« Also hat sich Michael Lehmann (76), der Übersetzer und Herausgeber aus Padingbüttel, selbst ans Werk gemacht. Der Bremer Sujet-Verlag legt die berührenden Erzählungen des Holocaust-Überlebenden Bernard Gotfryd (1924–2016), der in den USA als Fotograf berühmt geworden ist, jetzt in einer schönen Ausgabe vor. Der Nordsee-Zeitung verriet der Übersetzer, was ihn an dem Buch so fasziniert. [Erschienen 25. März 2021. Verwendung mit freundlicher Genehmigung. Text: Sebastian Loskant. Fotos: Arnd Hartmann.]

Herr Lehmann, wir sprechen über einen der bedeutendsten Nachkriegs-Fotografen in den USA. Bernard Gotfryd hat für das Wochenmagazin Newsweek viele Politiker und Künstler abgelichtet: Sofia Loren, Robert Kennedy, Woody Allen, Luciano Pavarotti… 1983 begleitete er Papst Johannes Paul II. auf dessen Polenreise. Wie kam es, dass er auch als Schriftsteller tätig wurde?

Sein Sohn Howard beschreibt 1989 im Nachwort, dass die Gäste seiner Eltern zu deren Berichten von den Nazi-Gräueln keinen Zugang fanden, dass sie ungläubig staunten und unfähig waren, die aus dem Horror resultierende Not zu erfassen. Deshalb sah der Vater sich veranlasst, diese Geschichten aufzuschreiben. Eine erste Ausgabe erschien 1990, eine erweiterte Auflage zehn Jahre später. Ich habe alle 30 Geschichten übersetzt und dann jene 18 ausgewählt, in denen er wirklich als Augenzeuge berichtet. Weiterlesen

Primeln im Januar – Die Website der Fowles-Gesellschaft geht online

Als Sam die Vorhänge zurückzog, flutete der Morgen über Charles herein, wie es sich Mrs. Poulteney, um diese Zeit noch vernehmbar schlafend, für sich nach ihrem Tod und – nach einem angemessen würdevollen Innehalten – vom Paradies gewünscht hätte. Etwa ein dutzend Mal im Jahr beschert das milde Klima an der Küste von Dorset solche Tage, die nicht nur angenehm und für die Jahreszeit untypisch mild, sondern hinreißende Überbleibsel mediterraner Wärme und Leuchtkraft sind. Dann spielt die Natur ein bisschen verrückt. Spinnen, die längst ihren Winterschlaf halten sollten, laufen über die warmen Novembersteine, Amseln singen im Dezember, Primeln brechen im Januar hervor, und der März imitiert den Juni.
Charles setzte sich auf, zog sich die Nachtmütze vom Kopf, hieß Sam die Fenster aufreißen und starrte, die Hände aufgestützt, ins Sonnenlicht, das sich ins Zimmer ergoss. Die leichte Verstimmung, die ihn am Vortag niedergedrückt hatte, war mit den Wolken verflogen.

z.B. bei eBook.deSo beginnt Kapitel sieben von John Fowles‘ stilbildendem Roman Die Geliebte des französischen Leutnants. Als wir auf unserer kleinen Recherche-Reise Ende Januar 2018 in Lyme Regis ankamen, der zweiten Heimat des Schriftstellers, ging es nicht ganz so mediterran zu. Aber es war immerhin erheblich milder als in Deutschland, und man hatte unwillkürlich jene Liebeserklärung an Wetter und Natur der südwestenglischen Küstenlandschaft vor Augen – ein Winterklima, das nicht nur bei Fowles‘ Romanfigur Charles Smithson sogar Depressionen zu vertreiben vermag. In dem liebenswert-altmodischen Seebad Lyme Regis findet sich noch fast alles, was Fowles im Roman akribisch beschreibt. Da ist natürlich an erster Stelle der Cobb zu nennen, die gewaltige Kaimauer, primitiv und doch komplex, riesenhaft und doch zart, voll feiner Rundungen und Wölbungen wie bei einem Henry Moore oder Michelangelo (Kapitel eins). [Neuübersetzung der Fowles-Zitate von Michael Lehmann] Weiterlesen

Veröffentlichung: »Nichts konnte schlimmer sein als Auschwitz!«

Scrase/Mieder: Nichts konnte schlimmer sein als Auschwitz! (Übersetzung: Michael Lehmann)

David Scrase, Wolfgang Mieder (Hg.), »Nichts konnte schlimmer sein als Auschwitz!« (The Holocaust. Personal Accounts, USA 2001), a. d. Engl. von Michael Lehmann; darin persönliche Überlebensberichte der AutorInnen Aranka Siegal, Yehudi Lindeman, Clinton Gardner, Marion Pritchard und andere. Donat Verlag 2016.
Inhalt

Ein Lieblingsprojekt von David Scrase und mir ist eine Sammlung sehr persönlicher Berichte von Holocaust-Überlebenden. In den USA von großem Interesse begleitet, liegt die Sammlung von mir übersetzt nun auch auf Deutsch vor: »Nichts konnte schlimmer sein als Auschwitz!«. Den englischen Literaturwissenschaftler David Scrase kannte ich schon seit Jahren, seit meiner Übersetzung seiner großen Wilhelm-Lehmann-Biographie. Mitt­ler­wei­le war er mehrmals bei mir zu Hause in Deutschland und ist ein guter Freund geworden. Weiterlesen

Call for Papers

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Jahrbuch der Deutschen John-Fowles-Gesellschaft #1, 2017

Herausgeber: Guido Isekenmeier und Gerd Bayer

Für die erste Ausgabe ihres Jahrbuchs sucht die Deutsche John-Fowles-Gesellschaft Beiträge zu allen Aspekten von Fowles‘ Leben und Werk (gerne auch mit Deutschlandbezug), von wissenschaftlichen Aufsätzen bis hin zu (Foto-)Essays. Texte sollten in deutscher oder englischer Sprache verfasst sein, eine Länge von 3000-6000 Wörtern aufweisen und bis zum 31.12.2016 fertiggestellt sein. Das Jahrbuch der Gesellschaft erscheint als E-Book mit Print-on-Demand-Option. Bei Interesse senden Sie bitte bis 31. Juli 2016 ein 300-400 Wörter langes Abstract an gerd.bayer@fau.de oder guido.isekenmeier@ilw.uni-stuttgart.de.