Das Triple von John Fowles: »Der Magus« wird 50, und, und…

Jo Lendle hat vor einiger Zeit in seinem Blog ein kleines Alltagsmissgeschick geschildert und dazu keinen geringeren als den Weltgeist angerufen, dem man »vorgaukeln« können sollte, er, der Weltgeist, sei womöglich in der Lage, helfend einzugreifen. Auf diese Weise den Hegel von den Füßen wieder auf den Kopf gestellt bekommen, hätte ich seinem Weltgeist eine Menge Missgeschicke zum Eingreifen anzubieten. So antwortete ich Lendle: Ja, es wäre schön, wenn der Weltgeist sich zum Beispiel vorgaukeln ließe, dass die Rechte am Werk von John Fowles für den deutschen Sprachraum NICHT bei einer Londoner Agentur vor sich hin schmoren, seit der Verlag XYZ sie unbemerkt von der Branche und der Öffentlichkeit zurückgegeben hat.

John Fowles (Wikipedia)Was sucht in diesem kleinen Dialog John Fowles? Auf dem schier unermesslichen angelsächsischen Buchmarkt ist er seit Jahrzehnten ein Erfolgsgarant: der englische Romanschriftsteller John Fowles (1926-2005), u. a. mit seinem Weltbestseller Die Geliebte des französischen Leutnants. Fowles würde Ende dieses Jahres und Anfang 2016 seinen 90. Geburtstag, den 10. Todestag sowie das 50jährige Vorliegen seines großen Romans Der Magus begehen. Auf das denkwürdige Triple aber wird im vergleichsweise kleinen deutschen Sprachraum bislang in keiner Vorschau hingewiesen. Sein deutscher Verlag druckt trotz guter Verkaufszahlen seit Jahren keine Neuauflagen seiner Werke mehr, sondern hat mit der Rückgabe der Rechte nach England sozusagen die Höchststrafe vollstreckt.

Ein endgültiges Todesurteil? Das glaube ich auf gar keinen Fall. Spätestens zum 100. Geburtstag wird man Fowles mit ziemlicher Sicherheit wieder groß herausbringen. Aber warum noch 10 Jahre verordneten Triebaufschub hinnehmen, wenn man etwas so Großartiges sofort haben kann? Sofort, wie das? Die Erklärung ist einfach: Meine besondere Leidenschaft galt schon lange eben jenem 50 Jahre alten 700-Seiten-Erstling Der Magus, Fowles‘ äußerst vielschichtigem Psychothriller, dem die Gratwanderung zwischen E- und U-Literatur in selten erreichtem Ausmaß gelingt. Unglücklicherweise strotzt die alte Übersetzung des Magus von zum Teil abenteuerlichen Fehlern. Deshalb machte ich mich vor einiger Zeit an die Arbeit und habe nun punktgenau zum dreifachen Jubiläum die überfällige Neuübersetzung fertig in der Schublade. Für ausgesprochene Liebhaber auch einschließlich meiner Entschlüsselung zahlreicher versteckter Anspielungen.

John Fowles: The MagusSchauplatz des Magus ist eine griechische Insel, auf der Maurice Conchis, ein charismatischer reicher Kosmopolit, mit zunächst undurchsichtigen Absichten und Methoden das Leben und die Liebesbeziehungen des jungen Engländers Nicholas völlig durcheinander wirbelt. Durch ein »Labyrinth elaborierter Täuschungen und Prüfungen« sowie die »verwirrende Vielschichtigkeit und Unerklärlichkeit der Realität« wird Nicholas – und mit ihm unweigerlich die Lesenden – »verzaubert, versklavt und belehrt« (so das Lexikon der englischen Literatur im Kröner-Verlag). Und zwar all dies auch nach 50 Jahren in keiner Zeile etwa verstaubt, schon zig Mal gelesen oder nur noch literarhistorisch interessant. Pate für den erzählerischen Spannungsaufbau stand bei Fowles erklärtermaßen Henry James‘ The Turn of the Screw, für die raffinierten Mystifikationen zweifellos Jorge Luis Borges. Aber auch Shakespeares Sturm, de Sades Justine, Dickens‘ Great Expectations u. v. m. lassen verschmitzt grüßen.

Die Herausforderung ist nur: Es gibt nach dem Ausstieg von XYZ noch keinen neuen Verlag, der die Rechte zurückerwirbt und die Neuübersetzung druckt, ein Missgeschick, das dem Weltgeist, sofern es ihn gibt und er sich etwas vorgoogeln ließe, womöglich die Feststellung entlocken würde, dass angesichts der Krise der Buchmärkte bzw. des Buchs überhaupt eher die Weltbank gefragt wäre.

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Michael Lehmann ist Übersetzer, spezialisiert auf Neufassungen herausragender deutscher und englischer Literatur des 17. bis 20. Jahrhunderts. In modernem Deutsch, ungekürzt, für neue Lesegenerationen.